Erwähnen wir anderen Tauchern gegenüber unsere häufigen Tauchgänge im Hallwilersee, so ernten wir meist nur ein mitleidiges Grinsen. Der Hallwilersee biete keine abwechslungsreiche Unterwasserlandschaft, er lade auch nicht zum Steilwandtauchen ein, da es keine Steilwände gebe, Strömung sei, wenn überhaupt, nur sehr, sehr schwach vorhanden und die Sichtweiten seien, das sehe man ja schon von der Oberfläche aus, unter aller Sau!

Die momentane Burgunderblut-Algen-Schwemme trägt, obwohl sie ein Anzeichen dafür ist, dass sich der See auf dem Weg der Besserung befindet, ihr Übriges dazu bei, dass der Anblick des Wassers nicht zu unzähmbaren Tauchgelüsten führt. Trotzdem habe ich kürzlich im Hallwilersee einen der schönsten Tauchgänge meiner zugegebenermassen noch nicht langen Taucherkarriere gemacht. Mein Buddy Markus und ich trafen uns an einem grauen Abend anfangs Mai dieses Jahres in Beinwil am See bei den Badi-Parkplätzen, mit dem Ziel, mal wieder einen astreinen Orientierungstauchgang zu absolvieren. Schon der erste Blick am Ufer zeigte uns Burgunderblutfetzen und liess auf anspruchsvolles Navigieren hoffen.

Nach dem Ausrüsten tauchten wir am Ende des Badi-Steges ab und die Sicht war so schlecht, dass wir einander auch bei Körperkontakt nur dank den Lampen, die, wie Lichter im Nebel, dumpf schimmerten, erkennen konnten. Dicht über dem Boden, den Kompass vor dem Gesicht, nach Kontakt zum Partner bestrebt, tauchten wir 90° Richtung Sprungturm. Wer den Hallwilersee kennt, weiss, dass die Halde in der Regel nur sanft abfällt, so auch in der Badi Beinwil. Deshalb befanden wir uns nach ungefähr 10 min. Tauchzeit erst auf 10 m Tiefe. Die Sicht war weiterhin miserabel und dementsprechend getrübt war meine Vorfreude auf den Rest des Tauchganges, hatte ich doch gehofft, dass die Sicht sich immerhin ein wenig bessern würde. Da nahm ich plötzlich eine Veränderung meiner Umgebung wahr! War bislang der vorherrschende Farbton das rötliche Braun der angestrahlten Schwebeteilchen dicht vor meinen Augen, so erschien mir die Szenerie jetzt viel dunkler, ja beinahe schwarz. Einige Sekunden zögerte ich, die Erklärung für diese offensichtliche Veränderung war mir nicht sofort präsent, bis ich erkannte, dass ich meinen Buddy, der nun etwa einen Meter von mir entfernt war, uneingeschränkt sehen konnte. Die Sicht hatte sich tatsächlich gebessert, und wie! Wir hatten auf 10 m die Sprungschicht passiert und waren in die glasklaren, kälteren Wassermassen vorgestossen, wie ein Flugzeug, das durch eine Wolkendecke sticht. Die Lichtkegel unserer auf voller Leistung arbeitenden Hartenberger ermöglichten uns einen Blick auf die mondoberflächenähnliche, von einzelnen Eglis durchsetzte Sedimentdecke des Sees und wir schwebten wie Astronauten in die Tiefe.

Ein tolles Gefühl, vor allem, weil wir in keiner Weise damit gerechnet hatten. Natürlich hatten wir gewusst, dass das Phänomen der Sprungschicht im Hallwilersee in den warmen Monaten besonders gut zu erfahren war, aber der Gegensatz zwischen warmer und kalter Schicht hatte sich noch nie so ausgeprägt und so überraschend gezeigt und war auch in den folgenden Wochen nie mehr so gross. Wir absolvierten unseren Kompasskurs in gewohnter Weise und viel zu früh mussten wir die Mondlandschaft wieder verlassen und uns durch das Burgunderblut zurückwühlen.

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